Im Mai 2022 überreichte die Schule der evangelischen Kirche Montabaur eine Spende über 14.000€, die größtenteils von den Schülerinnen und Schülern durch eine Spendenwanderung zusammengekommen war. (Klicken Sie hier: Heinrich-Roth-Realschule plus spendet 14.000 Euro für Flüchtlingshilfe der Kirchengemeinde — Heinrich-Roth-Realschule plus (hrs-mt.de)) Die Größe der Spende hatte Anne Pollmächer und Alexander Böhler mehr als überrascht, und beide mussten bei der Übergabe tief durchatmen.
Nun war es ein Herzensanliegen von Pfarrerin Pollmächer und Herrn Böhler vom Kirchenvorstand, der Schule über die Ausgaben und Projekte zu berichten. Bei einer Tasse Kaffee saßen sie mit Schulleiter Franz-Josef Gerz und Frau Eli Falke (Förderverein) zusammen und erzählten über die letzten Wochen und was diese große Summe alles ermöglicht hat. Als der Krieg in der Ukraine begann, nahm die evangelische Kirchengemeinde die ersten Flüchtlinge spontan bei sich auf: 3 Familien, insgesamt 8 Personen. Als die Nachricht kam, dass die Menschen nach Montabaur kommen, griffen unter anderem Frau Pollmächer und Herr Böhler selbst zu Farbe und Pinsel und richteten Räumlichkeiten im Pfarrhaus her. „Es wurde einfach schnell das Richtige getan“, erzählt Frau Pollmächer. Und es war ein sehr bewegender Moment, als die ersten drei Menschen aus der Ukraine ankamen: Ihr ganzes Gepäck passte in zwei Plastiktüten, und ihre Gesichter spiegelten die schreckliche Mischung aus Erleichterung und Angst um die Zurückgelassenen. Frau Pollmächer selbst war bei der Ankunft noch voller Farbkleckse und Freude, dass diese ersten Lösungen gefunden wurden.
Nach der Ankunft aller Flüchtlinge kamen dann die organisatorischen Herausforderungen: Gänge zum Sozialamt, zur Ausländerbehörde, zum Jobcenter, die Suche nach Dolmetschern und einem Zugang zum Bildungssystem und zu Sprachkursen. Die Diakonie unterstützte die Menschen dabei, hier anzukommen und eine neue Heimat zu finden, ohne dass sie ihre Selbstständigkeit dabei verloren. Dafür war das Lernen der deutschen Sprache Grundvoraussetzung, denn ohne Kommunikation ist die Teilhabe am Leben fast unmöglich.
Mit dem Geld der Schulspende wurden so zunächst Dinge des alltäglichen Lebens, wie Kleidung, Schulsachen, Möbel und Küchenausstattung gekauft und Dolmetscher und Sprachkurse finanziert. In dieser Zeit entstand auch die Synergie zwischen der Diakonie und der Heinrich Roth Realschule Plus. Frau Pollmächer und Herr Gerz waren sich direkt einig, dass die jungen Flüchtlinge Zugang zum Bildungssystem bekommen, und so nahm die Heinrich Roth Realschule Plus mutig die ersten auf.
In der Diakonie war das psychosoziale Zentrum schnell überlastet: Es kamen hauptsächlich Frauen mit Ihren Kindern in Deutschland an, da die Männer aufgrund des Krieges nicht ausreisen durften, sondern in den Kriegsdienst gerufen wurden. Immer wieder kam die Nachricht über einen weiteren Tod in der Heimat, und die Menschen, die hier in Montabaur in Sicherheit waren, brauchten psychologische Unterstützung, um mit all diesen überfordernden Emotionen irgendwie umgehen zu können.
Für einen ukrainischen Jungen hat die Diakonie ein kleines Wunder vollbracht: Der Junge hatte seinen Hund bei der Flucht vor dem Krieg zurücklassen müssen und er vermisste seinen treuen Begleiter sehr. Schließlich setzte Herr Böhler alles daran, dass der Hund in einem der Busse, die Flüchtlinge aus der Ukraine herausbringen, mitgenommen wurde. Aus Versehen kam der Hund aber nicht in Montabaur an, sondern in Amsterdam. Immerhin, er war in Sicherheit. Herr Böhler selbst fuhr schließlich mit seinem eigenen PKW nach Amsterdam und holte den Hund ab. Er erzählte, dass, als der Junge seinen Hund endlich wieder in die Arme schloss, sowohl dem Jungen als auch dem Hund Tränen über die Gesichter liefen. Seitdem geht es dem Jungen viel besser und es fällt ihm leichter, aktuell hier in Montabaur zu leben. „Auch so etwas ist sehr wichtig und von großer Bedeutung“, betonte Herr Böhler nachdrücklich.
Nachdem die Grundversorgung der Flüchtlinge sichergestellt war, kam der nächste Schritt: Die Menschen sollten nicht nur hier und versorgt sein, sondern sich zuhause, willkommen und nützlich fühlen. Das war eine große Herausforderung. Auch an dieser Stelle wurde deutlich, wie wichtig Sprache für die Selbstständigkeit ist. So werden bis heute unter anderem durch die große Geldspende Sprachkurse in der Diakonie ermöglicht. In den Räumlichkeiten von St. Peter in Ketten wurden Begegnungsmöglichkeiten etabliert: Zunächst kleine Workshops, um zu sehen, wie die Menschen darauf reagieren und was es für weitere Bedürfnisse gibt. Geleitet werden sie von ukrainischen Flüchtlingen. So erleben sie sich in ihrer Selbstwirksamkeit und haben die Möglichkeit, eigenes Geld zu verdienen. Heute gibt es einen ukrainischen Chor, ein großes Café international, ein Bastelworkshop, Koch-und Backtreffen und mehrere Sportkurse. Vor allem die Sportkurse waren am Anfang sehr wichtig und unterstützend, da man in der gemeinsamen Bewegung nicht unbedingt die Sprache braucht. Herr Böhler sagte an dieser Stelle mit einem kleinen Schmunzeln: „Der Ball kennt keine Grenzen, der ist rund!“. Neben Fußball haben sich Workshops wie Yoga und Kangoroo Jump etabliert, die die Menschen begeistern. Der ukrainische Chor hatte inzwischen sogar zwei Auftritte, die beide sehr gut ankamen. An den Bastelworkshops werden nicht nur schöne Dinge hergestellt, sondern auch Verständigung und Kulturverständnis gefördert: Zum Beispiel wurden letzten Winter Adventskränze nicht nur gemeinsam hergestellt, sondern auch diese schöne Tradition erklärt, da es sie in der ukrainischen Weihnachtszeit nicht gibt.
Alle Workshops wurden durch die Spende ermöglicht: Die Gruppenleitungen wurden und werden davon bezahlt und es werden Anschaffungen ermöglicht. Aber auch Ausflüge in den Zoo und zum Phantasialand wurden finanziert und schenkten den teilnehmenden Menschen schöne Stunden.
Das Gespräch am 19.9.23 war sehr bewegend. Herr Gerz schilderte noch einmal, wie beeindruckt er von den Schülerinnen und Schülern der Heinrich Roth Realschule Plus war, als sich abzeichnete, wie groß ihre Motivation für die Spendenwanderung war und wieviel Geld am Ende zusammenkam. Frau Pollmächer und Herr Böhler berichteten mit großer Begeisterung und viel Dankbarkeit, was sie alles mit der Spende über 14.000€ erreichen konnten und wie gut die Flüchtlinge unter anderem dadurch hier ankommen und leben können. Immer wieder wurde in dem Gespräch auf beiden Seiten die Freude über das gemeinsam Geleistete deutlich spürbar und in den Gesichtern sichtbar.
Die kollegiale Freundschaft von Frau Pollmächer und Herrn Gerz begann spannenderweise durch eine andere herausfordernde Krise: Während der Corona Pandemie lernten sie sich auf verschiedenen Veranstaltungen kennen und merkten schnell, dass sie sich in ihrem Verständnis über Führung und Förderung von Menschen gut verstanden und ergänzten. So war für Frau Pollmächer Herr Gerz einer der ersten Ansprechpartner für die Integration von jungen Flüchtlingen in das Schulsystem und für Herrn Gerz war die evangelische Kirchengemeinde ein guter Ort für das viele Geld, dass an der Heinrich Roth Realschule plus gesammelt wurde. Das Gespräch endete mit einem herzlichen Händeschütteln und zufriedenen und ein wenig stolzen Gesichtern.
„Neue Wege entstehen, indem wir sie gehen.“
[Friedrich Nietzsche]
Text: Eli Falke, 2. Vorsitzende des Fördervereins der Heinrich-Roth-Schule Foto: Franz-Josef Gerz